Bunte Worte: Die entdeckten Farben im poetisch-musikalischen Universum des Jon Anderson

Prolog

Es ist Herbst in Berlin. Ich schaue aus dem Fenster. Der Himmel ist dunkel. Graue Wolken. Muss die Stimmung deshalb ebenso grau sein? Nein! Nur ein paar Klicks am Computer – und ich lausche. Erwartungsvoll. Doch wissend, was gleich geschieht. Es wird eine grüne Explosion geben. Ich schließe die Augen. Und schon fliegen die grünen Farbfetzen durch die Gegend, über mir, hinter mir, um mich herum. Grün – alles ist grün: Jon Anderson singt Soon.

Eine weitere Explosion in Rot, doch Grün behauptet sich

Es ist eines der kürzeren Werke des zum Prog god 2016 gekürten Ex-Yes-Sängers. Zum Ausgleich bringt mein kluger Computer das längere Werk Siberian Khatru. Sofort verschwindet das Grün und gibt einem strahlenden Silber-Weiß Raum, welches über bedecktes Rot und Blau hinwegfegt, als wolle es die beiden verbundenen Farben aus der Dimension der Töne drängen.
Der Computer kennt seine Route durch das poetisch-musikalische Universum des Jon Anderson, in dem sich Farbe an Farbe reiht, nicht enden wollend. Long Distance Runaround ist ein verwirrender Mix aus Grün, Rot und Blau, bei dem die Farbkleckse ineinander fließen, sacht beiseitegeschoben schließlich von dem blasseren Then. Die Blässe jedoch kann sich nicht halten, denn schon wird sie von dunklem Grün, welches sich auf vierfach sandfarbenen Boden behaglich ausstreckt, verdrängt: Close to the edge. Das Grün zieht sich hinüber, in einem schmalen Band nur, gerade in der oberen rechten Bildecke kann es bei Roundabout das Rot und Blau in die Enge treiben, bevor es in einem großen Kreis zwischen eben jenem Rot und Blau in Heart Of The Sunrise zurückkommt.
Das Rot aber, scheinbar selbstbewusst und mutig schreitet zurück in die Bildmitte meines Farbspektrum-Ausschnittes und breitet sich in And You and I nach zwei Seiten aus. So weit, so weit, die beiden Feuer-Ströme fließen nach unten und scheinen aus dem Bild fallen zu wollen.

Doch unaufhörlich schallen die Töne aus dem Computer, rücken das Going for the One näher an meine Ohren, so dass sich zwischen dem fließenden Rot der Feuer-Ströme erneut das Grün ausbreitet, ein wenig unterbrochen nur von etwas Sandfarbenem. Das wenige reicht jedoch aus, um die nächste Explosion vorzubereiten. Mitten in diesem sandfarbenen Klecks taucht plötzlich ein roter Punkt auf. Ohne Mühe plätschert das Rot aus dem Punkt heraus, breitet sich spiralenförmig aus und bedeckt schnell das gesamte Blickfeld vor meinem geistigen Auge. Rot, alles ist rot: Jon Anderson singt Awaken.
Gut, dass es mit Circus of Heaven wieder ein wenig ruhiger und bedeckter wird. Der Puls normalisiert sich, aber nur kurz, denn das Grün, oh das Grün – mit aller Macht drängt es ins Bewusstsein in Wonderous Stories, so kurz und ruhig, doch mit Olias Of Sunhillow lang und fantasievoll und sogleich wieder kürzer, aber nicht ruhiger in Song Of Seven. Das Grün in den drei verschiedenen Schattierungen der drei Werke grenzt sich deutlich gegeneinander ab, bis mit Open ein viertes hinzu kommt und die anderen drei allmählich von der Leinwand verdrängt. Mit Change We Must kommt kurz vor dem Ende der spektakulären  Farbentour schließlich noch einmal das hartnäckig wiederkehrende Rot zurück.
Aus dem einstigen Silber-Weiß des Siberian Khatru, das sich mit seltener Pracht über eine ganze Ära entfaltete, blieb im stillen Hintergrund ein Streifen hellen Lichtes, der sich über die Zeiten – 44 Jahre – hielt, nun in die Gegenwart herüber strahlt und sich entfaltet auf der Leinwand des Blickes in flimmernd leuchtendem silber-weißen Glanze: Invention of knowledge.

Epilog

Grün und Rot sind die dominierenden Farben, die über diesen ganz erstaunlichen Werken leuchten. Sie tauchen immer wieder auf. Gerade schienen sie einmal verdrängt – im nächsten Moment sind sie wieder da. Und wie das passt! Die beiden Farben sind es schließlich, die wie eine synästhetische Aura im und um den Namen Jon Anderson herum schwirren. Und das sogar beinahe im selben Verhältnis – Ein fast vollkommener Kreis! Können Sie es sehen? Schließen Sie die Augen! Lauschen Sie! Dann kommen die Farben zu Ihnen…

Englische Version: Hier!